Die Beziehung zwischen Literatur und Bildender Kunst im ,expressionistischen Berlin’In Berlin trafen die literarische und die künstlerische Avantgarde aufeinander. Besonders in der Darstellung der Großstadt finden sich Übereinstimmungen von expressionistischer Lyrik und Malerei. Deshalb soll ein kurzer Exkurs an dieser Stelle die interessanten Wechselwirkungen zwischen expressionistischem Literaturbetrieb und der Bildenden Kunst in Berlin aufzeigen. Der Stilbegriff ,Expressionismus’ kam erstmals im Zusammenhang mit der Kunstausstellung der Berliner Secession[91] von 1911 auf[92]. In der Einleitung zum Ausstellungskatalog wurde die neue Kunstrichtung als Expressionismus bezeichnet. Der Begriff wurde daraufhin von der Presse aufgenommen und anschließend erst auf die Literatur übertragen[93]. So weist bereits die Übernahme der Bezeichnung ,Expressionismus’ auf die Literatur auf eine Gemeinsamkeit, die zumindest in der Presse und später auch in der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen wurde. Seit dem Umzug der Dresdner Künstlervereinigung ,Die Brücke’ 1911 nach Berlin hat es „deutliche Korrespondenzen“ mit den Berliner Lyrikern gegeben[94]. Die Zusammenarbeit[95] fand in den Zeitschriften ,Der Sturm’ und ,Die Aktion’, vor allem aber in Ersterer[96], statt: Etliche Zeichnungen und Holzschnitte illustrieren hier die literarischen Veröffentlichungen. Darüber hinaus finden sich in ihnen zahlreiche Dichterporträts, die Kokoschka, Meidner, Oppenheimer u. a. vermutlich im Auftrag der Herausgeber anfertigten. Des weiteren gibt es zahlreiche Buchillustrationen[97]. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass Herwarth Walden neben der Zeitschrift ,Der Sturm’ auch eine Galerie gleichen Namens führte, die die bedeutendsten avantgardistischen Künstler seiner Zeit zeigte[98]. Damit waren die Ausstellungen der ,Sturm’-Galeristen, welche 1912 und 1913 die Kubisten und die Futuristen präsentierten, ein wichtiger Auslöser dafür, dass ab 1913 verstärkt Berliner Maler (Carlo Mense, Heinrich Richter-Berlin, Georg Tappert, Hans Richter, Conrad Felixmüller, Georg Grosz u.a.), die sehr eng mit den zeitgenössischen Lyrikern in Verbindung standen, an die Öffentlichkeit traten. Die Großstadt steht bei Dichtern und Künstlern für die moderne Welt und ist als Thema bestimmend. Auch in den bildnerischen Darstellungen geht es nun nicht mehr um Ästhetik, sondern sie sind metaphysisch und kulturkritisch eingefärbt. Das beste Beispiel hierfür ist Ludwig Meidner mit seinem Gemälde ,Ich und die Stadt’ (1913). Dieses Werk kann man als das Programmbild des Berliner Expressionismus bezeichnen. Malerei und Dichtung verfügen hier wie auf keinem anderen Bild über eine so noch nicht dagewesene gemeinsame Ikonographie[99]. Das Selbstportrait zeigt Ludwig Meidner inmitten von chaotisch durcheinanderstürzenden Häusern, Straßen und Schornsteinen. Dieses Durcheinander scheint den seelischen Zustand des Malers darzustellen[100]. Das Werk ‚Ich und die Stadt’ offenbart dem Betrachter die Emotionen des Malers bezüglich der Großstadt, ebenso wie die Dichter in ihrer Berlin-Lyrik ihre Empfindungen ausdrücken. Ludwig Meidners Gefühle für die Großstadt sind - wie die der expressionistischen Lyriker - ambivalent. In seiner ,Anleitung zum Malen von Großstadtbildern’ von 1914 bejubelt er noch die Stadt: Wir müssen endlich anfangen, unsere Heimat zu malen, die Eleganz eiserner Hängebrücken, die Gasometer, welche in weißen Wolkengebirgen hängen, die brüllende Koloristik der Autobusse und Schnellzuglokomotiven...und dann die Nacht, die Großstadt-Nacht[101]! Einen ähnlichen Tenor findet man auch bei Kurt Hiller: Ich setze als Ziel der Gedichtschreibung: das pathetische Ausschöpfen dessen, was dem entwickeltsten Typus Mensch täglich begegnet; also: ehrliche Formung der tausend kleinen und großen Herrlichkeiten und Schmerzlichkeiten im Erleben des intellektuellen Städters. Man muß [...] knappe und irisierende Synthesen geben von dem, was seltsame analytische Sensation in uns ist[102]. Beide wollen mit ihren Werken ihre überschwenglichen und durchaus positiven Gefühle für Berlin ausdrücken. Vier Jahre später ist sich Ludwig Meidner auch der negativen Seiten des Großstadtlebens bewusst geworden. In seinem Buch ,Im Nacken das Sternenmeer’ schreibt er über seine Zeit in Berlin: Was peitscht mich denn so in die Stadt hinein? Was ras’ ich verrückt heerstraßenlang?! Pfähle blutig anrempelnd, Schädel zertrümmernd an feisten Stämmen und meine stadtgeilen Füße zerreißen am Gestein der Nacht[103]. Verbindende Gemeinsamkeit von Literatur und Kunst war vor allem die Übereinstimmung im Themenkomplex Großstadt. In Bildern und Gedichten finden sich Motive wie Verkehr, Cafés, Zirkus, Nachtlokale, Elend, Wahnsinn und Selbstmord. Sie lassen eine „Psychographie des Großstädters“[104] entstehen. Charakteristisches Beispiel ist hierfür der Bilderzyklus Ernst Ludwig Kirchners, der in den Jahren 1913 bis 1914 entstand[105]. Sein eigentliches Großstadtthema ist die Frau - damit meint er fast immer die Prostituierte - auf der Straße und im Café[106]. Mit seinen Berliner Straßenszenen verkörpert Ernst Ludwig Kirchner den „Höhepunkt des Berliner Großstadt-Expressionismus“[107]. Wolfgang Paulsen weist auf einen weiteren interessanten Aspekt im Zusammenhang von Literatur und Bildender Kunst des Expressionismus hin, nämlich daß noch keine deutsche Kulturperiode so viele Doppeltalente hervorgebracht hat wie der Expressionismus - Maler vor allem, denen das Hinübergreifen in die Dichtung notwendig war, von Kandinsky und Kokoschka über Barlach, Ludwig Meidner, Hans Arp, Kurt Schwitters bis umgekehrt zu dem späten Fritz von Unruh, zu Lothar Schreyer und dem frühen Georg Grosz, den Mehr-als-nur-Sonntagsmaler August Stramm nicht zu vergessen[108]. | |||||||
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