Ich bin ein Morgen, den die
Vorstadt schenkt:
Wo Linden duften auf den leeren,
stillen,
verschlafnen Straßen um sehr weiße
Villen
und sich ein Fremder laß zum
Bahnhof lenkt.
Wo sich zerzauste Mädchen
scherzend scharen
um eines Milchmanns Wagen und ein
Kind
vom Bäcker kommt und Hunde sich
geschwind
und ganz gehässig in die Beine
fahren
und Burschen gähnend ihre Pferde
striegeln
und grüne Jalousien die Welt
versiegeln
und kleine Gärten vor den Läden
blühn -
wo Arbeiter sich zu Fabriken
schieben,
und eine ferne Uhr schlägt säumig
sieben,
und nichts als grelles Rot und
Weiß und Grün!
(Max Herrmann-Neisse, 1912)
Um seine Villa beneidet der eine
den anderen, um das Leuchten des Wann-sees,
um seine Terrasse mit geflochtenen
Stühlen, um das Segelboot „Ramses“.
Um seine Hühnerhöfe auch und den
schattigen Garten,
wo er in vielen Nächten verdammt
war zu warten,
bis eine Dame kam mit hellem Haar
und dem Schlüssel zum Ausflug.
Ihr Haar fiel, und sie lachte
leis, bis die erste Lerche im Tau schlug.
Nun aber möchte er Starkästen
bauen, mit kleinen Hunden spielen,
dem Wetter vertrauen und im
Schatten nach glitzernden Möwen zielen,
das Boot „Ramses“ besteigen, in
Himmel und Wolken baden!
Vorallem aber wünschte er sehr,
seine Freunde zum Essen zu laden.
Wogegen der andre mit Schnaken
kämpfte im schattigen Garten,
verdammt in vielen Nächten zu
stehn und lange zu warten,
bis eine Dame käme, mit hellem
Haar und dem Schlüssel zum Ausflug.
Ihr Haar fiel, und sie lachte
leis, bis die erste Lerche im Tau schlug.
(René Schickele, 1910)
Auf grüner Böschung glüht des
Abends Schein.
Die Streckenlichter glänzen an den
Strängen,
die fern in einen Streifen sich
verengen
-Da braust von rückwärts schon der
Zug herein.
Die Türen gehen auf. Die Gleise
schrein
vom Bremsendruck. Die
Menschenmassen drängen
noch weiß vom Kalk und gelb vom
Lehm. Sie zwängen
zu zwanzig in die Wagen sich
herein.
Der Zug fährt aus, im Bauch die
Legionen.
Er scheint in tausend Gleisen zu
verirren,
der Abend schluckt ihn ein, der
Strang ist leer.
Die roten Lampen schimmern von
Balkonen.
Man hört das leise Klappern von
Geschirren
und sieht die Esser halb im
Blättermeer.
(Georg Heym, 1910)
In ihrem Viertel, in dem
Gassenkot,
Wo sich der große Mond durch
Dünste drängt,
Und sinkend an dem niedern Himmel
hängt,
Ein ungeheurer Schädel, weiß und
tot,
Da sitzen sie die warme
Sommernacht
Vor ihrer Höhlen schwarzer
Unterwelt,
Im Lumpenzeuge, das vor Staub
zerfällt
Und aufgeblähte Leiber sehen
macht.
Hier klafft ein Maul, das zahnlos
auf sich reißt.
Hier hebt sich zweier Arme
schwarzer Stumpf.
Ein Irrer lallt die hohlen Lieder
dumpf,
Wo hockt ein Greis, des Schädel
Aussatz weißt.
Es spielen Kinder, denen früh man
brach
Die Gliederchen. Sie springen an
den Krücken
Wie Flöhe weit und humpeln voll
Entzücken
Um einen Pfennig einem Fremden
nach.
Aus einem Keller kommt ein
Fischgeruch,
Wo Bettler starren auf die Gräten
böse.
Sie füttern einen Blinden mit
Gekröse.
Er speit es auf das schwarze
Hemdentuch.
Bei alten Weibern löschen ihre
Lust
Die Greise unten, trüb im
Lampenschimmer,
Aus morschen Wiegen schallt das
Schreien immer
Der magren Kinder nach der welken
Brust.
(Georg Heym, 1910)
Verschweißte Kellnerköpfe ragen in
dem Saal
Wie Säulenspitzen hoch und
übermächtig.
Verlauste Burschen kichern
niederträchtig,
Und helle Mädchen blicken hübsch
brutal.
Und ferne Frauen sind so sehr
erregt...
Sie haben hundert rote runde
Hände,
Gebärdelose, große, ohne Ende
Um ihren hohen bunten Bauch
gelegt.
Die meisten Menschen trinken
gelbes Bier.
Verrauchte Krämer glotzen grau und
bieder.
Ein feines Fräulein singt gemeine
Lieder.
Ein junger Jude spielt ganz gern
Klavier.
(Alfred Lichtenstein, 1912)
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