Wir schleifen auf den müdgewordnen
Beinen
Die Trägheit und die Last
verschlafner Gierden.
Uns welkten (ach so schnell!) die
bunten Zierden.
Durch Dunkliges kriecht geil
Laternenscheinen.
Im Trüben hat ein träger Hund
gebollen.
Auf Bänken übertastet man die
Leiber
Zum Teile gar nicht unsympathscher
Weiber.
Die schaukeln noch - wir wissen,
was wir wollen.
Du gähnst mich an - in deinem
Gähnen sielt
Sich halbverfaulte Geilheit.
Hundgebelle.
Und durch das überlaubte Dings da
schielt,
In Stein gemetzt, der
Bürgermeister Zelle.
(Ernst Blass, 1912)
Ein schmales Mädchen ist sehr
liebevoll
Zu einem Leutnant, der verloren
stöhnt,
Ein Korpstudent mokiert sich,
frech, verwöhnt,
Und eine schiefe Schneppe kreischt
wie toll.
Ein Refrendar bemüht sich ohne
Glück
Um eine Kellnerin, die Geld
begehrt,
Ein Abgeblitzter macht im Dunkeln
kehrt,
Und eine Nutte schwebt zerzaust
zurück.
Zwei Unbestimmte prügeln einen
Herrn,
Mit Uniformen zankt ein Zivilist,
Ein Jüngling merkt, daß er
betrogen ist,
Und zwei Verschmolzne haben
schnell sich gern.
Ein starker Bolzen und ein
Musketier
Sind ganz in eine graue Bank
verwebt,
Ein Gent an einem Ladenfräulein
klebt,
Ein greiser Onkel schnuppert geil
und stier.
Ein Weib mit bloßem Kopf wird sehr
gemein,
Ein Louis lauert steif und rührt
sich nicht,
Ein Frechdachs leuchtet jeder ins
Gesicht,
Und ein Kommis umfaßt ein weiches
Bein.
Es raschelt in den Sträuchern
ungewiß
Und tappt gesträubt auf einen
steifen Hut,
Die Bäche liegen still wie
schwarzes Blut,
Und Bäume fallen aus der
Finsternis.
Ein Johlen rollt die Straße hin
und stirbt,
Ein Wurf ins Wasser, irgendwo,
ganz dumpf,
Ein Mauerwerk wächst wie ein
Riesenrumpf,
Ein unbekanntes Tier erwacht und
zirpt.
Zwei Männer flüstern einen
finstern Plan,
Ein welkes Wesen wehrt sich
hoffnungslos,
Ein Schüler hat ein Bahnerweib im
Schoß,
Im Teich zieht schwer ein
ruheloser Schwan.
Und Sterne stolpern in die tiefe
Nacht,
Und Obdachlose liegen wie
erstarrt,
Und bleiern hängt der Mond, und
hohl und hart
Glotzt breit ein Turm, verstockt
und ungeschlacht.
(Max Herrmann-Neisse, 1912)
Stumm wurden längst die
Polizeifanfaren,
Die hier am Tage den Verkehr
geregelt.
In süßen Nebel liegen hingeflegelt
Die Lichter, die am Tag
geschäftlich waren.
An Häusern sind sehr kitschige
Figuren.
Wir treffen manche Herren von der
Presse
Und viele von den aufgebauschten
Huren,
Sadistenzüge um die feine Fresse.
Auf Hüten plauschen zärtlich die
Pleureusen:
O daß so selig uns das Leben
bliebe!
Und daß sich dir auch nicht die
Locken lösen,
Die angesteckten Locken meiner
Liebe!
Hier kommen Frauen wie aus
Operetten
Und Männer, die dies Leben sind
gewohnt
Und satt schon kosten an den
Zigaretten.
In manchen Blicken liegt der halbe
Mond.
O komm! o komm, Geliebte! In der
Bar
Verrät der Mixer den geheimsten
Tip.
Und überirdisch, himmlisch steht
dein Haar
Zur Rötlichkeit des Cherry-
Brandy- Flip.
(Ernst Blass, 1910)
Abend war's: Die Gänse schnattern
Heimwärts in die Abendsonne.
- Denkt der Stadtherr poesievoll.
Ha! Der Vater mit dem Sohne
- Auf dem Zündloch der Kanone -
Geht aufs Tempelhofer Feld.
Kürassiere schreiten richtig,
Vater nimmt die Sache wichtig:
„Sohn, o Sohn, o werde tüchtig!“
Ha! Er gibt den Rat ihm nun,
Die unerhörte Tat zu tun,
Endlich ein Genie zu sein.
Ha! Aus seiner stillen Klause
Wo er korrigierend thront,
Steigt ein blasser Oberlehrer
Und beschaut den roten Mond.
„Einst als gelockter Jüngling in
der Bar
Sah ich begeistert mancher Dame
Schwips.
O, überirdisch himmlisch stand ihr
Haar
Zur Rötlichkeit des Sherry Brandy
Flips.“
(Jakob van Hoddis, 1907/09)
Blaßmond hat Hall und Dinge grau
geschminkt.
Das Wundern lernte selbst der
karge Greis,
Der unten, auf der Bank, im
engsten Kreis
Vor sich den mageren Spazierstock
schwingt.
Da liegt die große Stadt: schwer,
grau und weiß,
Ein Rauchen, Greifen, Atmen, daß
es stinkt.
Eh sie dem heil'gen Tag das Dunkle
wild entringt,
Erwachen Nerventräume, blaß und
heiß.
Fort mit dem süßen Blick! Fort mit
dem Kusse!
Hörst du die roten Nacht- und Not-
Alarme?
Die heißen, blassen Träume sind
verstreut.
Mir stehen riesige, liebes-,
hasseswarme
Gebäude zu durchwandern weit
bereit.
Da unten rollen meine Autobusse!
(Ernst Blass, 1910)
Wie schön ist diese stolze Stadt
der Gierde!
Ihr Elend und geschmähter Überfluß
Und schwerer Straßen sehr
verzerrte Zierde.
Schamloser Tag entdeckt dir die
Konturen.
Die Häuser stehn befleckt mit
Staub und Ruß,
Es flirrt um Eilende und
Wagenhaufen
Furchtsame Weiber, Männer, blasse
Huren...
Ich starre lange in die schnelle
Pracht
Ein Dumpfes ahnend drunten im
Gedränge -
Ich weiß wie sie des blöden Tages
Strenge
Gewaltig preisen: daß er herrschen
macht.
[ Es zieht sie nur zur
wohlumbauten Enge.]
Komm! laß uns warten auf die
kranke Nacht
Der schweren dröhnenden
Gedankenpränge.
(Jakob van Hoddis, 1907/09)
Keiner, der durch Vorstadt
kreisend zieht,
Weiß, wen er liebt, an welches
Weib er denkt.
Manchmal in Caféhaus- Walzerlied
Geschieht ein Blick, der ihn
beglückt und kränkt.
Aufschäumt der schönen Jugend
Melodie,
Gesicht und Ruhm und erstes
Zeitungswort;
Schwarzer Fluß mit schmerzlicher
Magie
Erscheint im Westen an dem alten
Ort.
Dort lebt ein Herz, das, vielen
zugesellt,
Sich tiefer senkte auf des
Schicksals Grund;
Ein Herz mit ungeheurer Flamme:
Welt -
Das jetzt trübe steigt in unsern
Mund.
Noch sind Lokale
mitternacht-erfüllt,
Geheul von Bürgern, die wir
langsam töten.
Wird sich die ewige Stadt dem
Antlitz röten?
Entschreiten wir der Ebene
unverhüllt!
Schon aus beklommenem Hirn im
Nebelschein
Glüht unterirdisch dumpfer Züge
Fliehn.
Da stürzt der Kreisel in die Sinne
ein,
Morgen steht - der Morgen über
Berlin.
Ihr alle in Gefahr und
Liebesgraun:
Wir wollen nach den weißen Pferden
schaun.
Es schließt der Kreis sich um
Gespenst und Jahr;
Lustfrohe Zeit, auch du, wie
wunderbar.
Der süßen Gegenwart entrückter
Sinn
Erhebt sich östlich zu der
Lichtstadt hin,
Die riesenhaft in singender
Gestalt
Am körperlosen Äther dir
erschallt.
Die Droschke stolpert, wo wir oft
gekniet
Vor einer Dame, welche unbekannt,
Bis ihre Strümpfe, die man
plötzlich sieht,
Die unbequeme Lust zerriß und
fand.
Als wir müde auf den Korridor
Hintraten, aufgeweckt, ins
Schlummerland:
Welch ein Gedanke, wenn am fremden
Tor
Noch eine kleine Lampe einsam
stand.
Die Jalousie strömt fort in blauem
Glanz;
Durch spitze Flächen ins Gehirn
läuft Tanz.
Die Transparente über Wolk und
Stern
Sind längst vergangen...ja, auch
Du bist fern.
Bald stirbt die Nacht am rosa
Firmament,
Schon nahen Vögel, die nach Süden
ziehn;
Wo bist du, Volk, das meinen Namen
nennt?
Die Wolke flammt - der Morgen über
Berlin.
(Walter Hasenclever, 1913)
Ein blauer Abendhimmel,
stilisiert.
Singvögel, die teils fleuchen und
teils kreuchen.
Es tanzen mehrmals komisch an
zuviert
Schutzmannskordone mit
geschwollnen Bäuchen.
Ein Cyrano, teils sehnend und
teils sehnig,
Schlägt wundervoll heroische
Kapritzen.
Es steigt aus den geschärften
Häuserspitzen
Der Mond, ein pittoresker
Kegelkönig.
(Ernst Blass, 1912)
Verträumte Polizisten watscheln
bei Laternen.
Zerbrochne Bettler meckern, wenn
sie Leute ahnen.
An manchen Ecken stottern starke
Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu
den Sternen.
Um harte Häuser humpeln Huren hin
und wieder,
Die melancholisch ihren reifen
Hintern schwingen.
Viel Himmel liegt zertrümmert auf
den herben Dingen...
Wehleid'ge Kater schreien
schmerzhaft helle Lieder.
(Alfred Lichtenstein, 1912)
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