Gedichte: Im Café

 

Nachtcafé 2 (G. Benn)

Nachtcafé 3 (G. Benn)

Café des Westens (G. Benn)

Nachtcafé (G. Benn)

G. Grosz: Café, 1918/19 

 

Café (G. Benn)

Englisches Café (G. Benn)

Der Dichter im Restaurant (M. Herrmann-Neisse)

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachtcafé 2

Und dennoch hab ich harter Mann,

blöcken drei blaugraue Zahnstummel

aus ihrer muffigen Höhle mit.

Und dennoch schlug die Liebe mir,

wölben sich zwei Hurenschnauzen vor.

 

Matchiche:

Ida paßt ihre Formen der Musik an.

Buchtet sich ein und aus.

Wirft sich aus ganz ebenen Stellen auf:

„Mensch, Ida, du hast woll een Gelenk zu ville.“

 

Ein Provinziale ertrinkt in einer Minettschnauze.

Nimm mich hin. Ich will versinken.

Laß mich sterben. Gebäre mich.

(Gottfried Benn, 1913)

 

 

 

 

 

 

Nachtcafé 3

Ein Medaillon des Mittelstandes staunt

von Fett umträumt das Kinn: da bist du ja.

Dem Manne rutscht das Auge hin und her.

 

Ein Schnäuzchen schmiert ein Lachen in die Luft:

Ick habe schon gehabt. Ob du noch kommst,

Ick kann mir doch mein Brot mit Schinken kofen.

 

Besambar sitzt an jedem Tisch mit Federn

am Hut und stellt das Bein, saugt die Hüften

Samenschwers immer heißer in den Schoß.

 

Ein Lied wölbt eine Kuppel in die Decke

aus Glas: Die kalte Nacht verwölkt die Sterne.

Der Mond verirrt sein Gold in diesen Gram.

(Gottfried Benn, 1914)

 

 

 

 

 

 

 

Café des Westens

Ein Mann tritt mit einem Mädchen in Verhandlung:

Deine Stimme, Augenausdruck, Ohrläppchen

sind mir ganz piepe.

Ich will dir in die Schultern stoßen.

Ich will mich über dir ausbreiten.

Ich will ein ausgeschlenkertes Meer sein, du Affe!-

(Gottfried Benn, 1913)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachtcafé

824: Der Frauen Liebe und Leben.

Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte

rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.

Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.

 

Grüne Zähne, Pickel im Gesicht

winkt einer Lidrandentzündung.

 

Fett im Haar

spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel

Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.

 

Junger Kropf ist Sattelnase gut.

Er bezahlt für sie drei Biere.

 

Bartflechte kauft Nelken,

Doppelkinn zu erweichen.

 

B-moll: die 35. Sonate.

Zwei Augen brüllen auf:

Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal,

damit das Pack drauf rumlatscht!

Schluß! He, Gigi! -

 

Die Tür fließt hin: Ein Weib.

Wüste. Ausgedörrt. Kanaanitisch braun.

Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit. Kaum Duft.

Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft

gegen mein Gehirn.

Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher.

(Gottfried Benn, 1912)

 

 

 

 

 

 

Café

„Ick bekomme eine Brüh', Herr Ober!“-

saldo-crack mit Mensch ist gut von Frank-

Hoch die Herren Seelenausbaldower

Breakfast-dämon, Tratten-überschwang.

 

„Laß dir mal von Hedwig das erzählen“

Reise-Hedwig! Aufbau, Sitte, Stand-

Wurm, Gomorrha, cyanüres Schwälen

über das verfluchte Abendland.

(Gottfried Benn, 1921)

 

 

 

 

 

 

Englisches Café

Das ganz schmalschuhige Raubpack,

Russinnen, Jüdinnen, tote Völker, ferne Küsten,

schleicht durch die Frühjahrsnacht.

 

Die Geigen grünen. Mai ist um die Harfe.

Die Palmen röten sich. Im Wüstenwind.

 

Rahel, die schmale Golduhr am Gelenk:

Geschlecht behütend und Gehirn bedrohend:

Feindin! Doch deine Hand ist eine Erde:

süßbraun, fast ewig, überweht vom Schoß.

 

Freundlicher Ohrring kommt. In Charme d'Orsay.

Die hellen Osterblumen sind so schön:

breitmäulig gelb, mit Wiese an den Füßen.

 

O Blond! O Sommer dieses Nackens! O

diese jasmindurchseuchte Ellenbeuge!

Oh, ich bin gut zu dir. Ich streichle

dir deine Schultern. Du, wir reisen:

 

Tyrrhenisches Meer. Ein frevelhaftes Blau.

Die Dorertempel. In Rosenschwangerschaft

die Ebenen. Felder

sterben den Asphodelentod.

 

Lippen, verschwärmt und tiefgefüllt wie Becher,

als zögerte das Blut des süßen Orts,

rauschen durch eines Mundes ersten Herbst.

 

O wehe Stirn! Du Kranke, tief im Flor

der dunklen Brauen! Lächle, werde hell:

die Geigen schimmern einen Regenbogen.

(Gottfried Benn, 1913)

 

 

 

 

 

 

Der Dichter im Restaurant

Der Dichter glotzt verstockt in Rauch und trinkt

Viel schweres Bier und fühlt sich ganz verlassen -

Er denkt gerührt an sie, die schmal, verschminkt

Sich jetzte Bettfreunde wirbt in dunklen Gassen.

 

Er denkt der vielen Bürger, die ihn hassen,

Es kommt ihm schmerzhaft bei, daß er ja hinkt,

Er sehnt sich weit nach luftigen Terrassen,

Wo Rosen Blühn und sanft ein Vogel singt.

 

Mißtrauisch schielt der Wirt nach ihm. ein Gast

Hetzt höhnend seine Freunde auf und stiert.

Die scheelen Frauen tuscheln unter sich -

 

Der Dichter träumt sich Purpur und Palast

Und eine, die ihn liebt. Sein Blick verliert

Sich himmelhoch und leuchtet königlich.

(Max Herrmann-Neisse, 1913)