Gedichte: Häuser

 

Der Zug der Häuser (A. T. Wegner)

Die neuen Häuser (G. Heym)

Hinterhaus (O. Loerke)

L. Feininger: Die Stadt, 1916 

 

Überwältigung (O. Loerke)

Der steinerne Wabenbau (O. Loerke)

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

Der Zug der Häuser

Die letzten Häuser recken sich grau empor,

In Massen geschart und in einzelne Gruppen,

Elende Hütten laufen davor,

Zerlumpte Kinder vor Heerestruppen.

Hinter den steinernden Zinnen aber beginnen

Die Felder, die Weiten,

Die sich endlos in die graue Ebene breiten.

Hohläugig glotzen die Häuser herüber,

Mit scheelem Blicke versengen sie Strauch und Baum:

 

„Gebt Raum! Gebt Raum

Unserm Schritt!

Wir wälzen den plumpen steinernen Leib darüber,

Die Dörfer, die Felder, die Wälder, wir nehmen sie mit!

Mit unserem rauchenden Atem verbrennen

Wir jede Blüte und reifende Frucht.

Die Saaten, die nicht mehr grünen können,

Ersticken in Qualm wir. Vor unserer Wucht

Zersplittern die Bäume, in rasender Schnelle

Sind alle Menschen im Land auf der Flucht

Vor unserer steinernen Welle.

Wir aber erreichen sie doch. Uns hält

Kein Strom, kein Graben. Wir morden das Feld.

 

Und die Menschen, aus ihrer Qual sich zu retten,

Aus einsamen Höfen, verlassenen Auen,

Mit dem Wahnsinn gepaart, dem Hunger, dem Schmerz,

Gebeugte Männer, verzweifelte Frauen

Ziehen dahin in schwarzen Ketten,

Hinein in der Städte pochendes Herz.

Ob lebend, ob tot, wir halten sie fest

An unsere steinernden Brüste gepreßt.

Bis unsere Stirnen die Sterne berühren,

Blutender Felder zerrissenen Grund,

Euch Ebenen, die in das Endlose führen,

Alle verschlingt unserer Mauern zermalmender Mund.

Bis wir zum Saume der Meere uns strecken,

Nie sind wir müde, nie werden wir satt,

Bis wir zum Haupte der Berge uns recken

Und die weite, keimende Erde bedecken:

Eine ewige, eine unendliche Stadt!...“

(Armin T. Wegner, 1913)

 

 

 

 

 

 

Die neuen Häuser

Im grünen Himmel, der manchmal knallt

Vor Frost im rostigen Westen,

Wo noch ein Baum mit den Ästen

Schreit in den Abend, stehen sie plötzlich, frierend und kalt,

Wie Pilze gewachsen, und strecken in ihren Gebresten

Ihre schwarzen und dünnen Dachsparren himmelan,

Klappernd in ihrer Mauern schäbigem Kleid

Wie ein armes Volk, das vor Kälte schreit.

Und die Diebe schleichen über die Treppen hinan,

Springen oben über die Böden mit schlenkerndem Bein,

Und manchmal flackert heraus ihr Laternenschein.

(Georg Heym, 1910)

 

 

 

 

 

 

Hinterhaus

      In kalten, steifen Engen,

      An gelben Schornsteinlängen,

      Verirrten Schieferdächern,

      Verstaubten Lukenfächern,

      An braunen glatten Röhren,

      An roten Drahtes Öhren,

      Verblichnen blauen Flecken

      Und blechbehuften Ecken

Liegt Sonne, wie nach Winkelmaß gemessen

Und wie von einem Handwerksmann vergessen.

 

      Hier hinter Luken wimmeln,

      In Kellerlöchern schimmeln

      Und tanzen unter Sparren

      Wir galgenfrohen Narren,

      Die sich in Kammern bücken,

      Doch ihre Wände schmücken

      Mit goldnen Sterntapeten,

      Weil wir vom Himmel wehten,

Wir Fetzen Licht, nach Winkelmaß gemessen,

Und wie von einem Handwerksmann vergessen.

(Oskar Loerke, 1911)

 

 

 

 

 

 

Überwältigung

Der Stein in Gosse, Turm und Wand schreit: Frage!

Ich gehe durch Berlin wie auf der Flucht

Und stell es hinter mich wie ein Klage,

Mit Schmerzen treibt mich aus die Lebenssucht.

 

Was soll ich finden? - Mir ist nichts geworden,

Die Sonne fällt schon wie ein welkes Laub.

Gefährte, Menschen ziehn in grauen Horden

Und sind so stumm, ich bin vor Horchen taub.

 

Gekreuzigt an den Fensterkreuzen schlagen

Vampyre meiner Wissensgier sich matt.

Aus gläsern abendroten Feuern ragen

Die vielen Kreuze dieser Schädelstatt.

 

Nur wie ein Echo ruft aus roten Fenstern

Das Erdlicht noch, das Licht Saturns, das Licht

Neptuns, das bald auf andern Weltgespenstern

In Schlachtordnungen aus dem Himmel bricht.

 

Die Häuserblöcke stehn so grau wie Asche,

Die Ferne ist wie aschenstaubverstellt.

Die Schmutzkanäle murmeln die Parasche

Im Bauch der Stadt zum Gott der Unterwelt.

 

An der Kanäle feuchten Rosten balgen

Sich Hunde um ein faules Stückchen Fisch.

Die Bogenlampen streun von ihren Galgen

Ihr armes Licht mit fiebrigem Gezisch.

 

Da frierts die Steine und die Steine scheinen.

Du blutest ja, mein Herz, du, komm nach Haus.

Dort in der Höfe Steinzisternen weinen

Die Brunnen der Melancholie sich aus.

(Oskar Loerke, 1916)

 

 

 

 

 

 

Der steinerne Wabenbau

Gewölk wie schwefelgelbe Leichentücher

Mit einem Schein von Blut wirft sich und flattert,

Doch läßts die Stadt, die es in sich gewickelt,

Nicht los. Die Tücherzipfel klatschen auf

Die Türme. Unten irgendwo im Leeren

Steht kalter Wind und bläst ins tote Bündel.

Und ganz Berlin ist schwefelgelb getüncht

Mit einem Schein von Blut...

 

Ich träume wach in finstrem Mauerkäfig,

Mir öffnet sich das Hinterhaus...ich sehe:

Da liegt der Wabenbau aus Ziegelstein,

Schwermütiger, je weiter er sich reckt.

Und tausend Jahre älter scheint die Stadt,

Denn, was in tausend Jahren wird, ist heut.

 

Die Straßen sind im Leib der Stadt wie Sprünge

Und Risse des Verfalls, wie Säbelhiebe,

Die kreuz und quer der plumpe Geist der Stadt

Dem eignen Körper schlug, der Straßen Bäume

Sind Gras und Unkraut, in den Spalten wuchernd.

Noch wehn wir durch die Waben wie ein Schrei,

Der fensterein und wieder fensteraus fährt,

Mit unsrem kleinen Leben. Zeugen, Sterben

Gärt schal im Summen mit, das wie ein Schwärmen

Von Leichenkäfern im Kadaver braust.

 

Der Säle und der Kammern Waben bröckeln,

Schon blättern von den Zellen die Tapeten,

Die Teppiche zermürben auf den Dielen,

Und aller fremden Lande Schätze fahren

In dieser Tausendjahrminute aus,

So laut, so leis wie Töne eines Tanzes,

Den sich der Geist der Stadt mit großen Tatzen

Auf Dächern wie auf dunklenTasten spielt.

Der Wind der Zeiten bläst als Blasebalg.

Der Wind?

 

... es bläst. Es ist ein kleiner Wind,

Er fährt in meine Hinterstube, lischt

Die Schemen aus. Die Mauern schließen sich.

Ach, ich bin heut die dumpfe Lebensschwermut

Der vielen tausend Zellen dieses Steinleibs.

Ich gleiche wohl dem schwefelfahlen Licht

Mit einem Schein von Blut... ich gleiche mehr

Dem Wolkentuch, das allzuschwere Bürde

In seinen Nebel nimmt, doch nimmer trägt.

(Oskar Loerke, 1911)