Die letzten Häuser recken sich
grau empor,
In Massen geschart und in einzelne
Gruppen,
Elende Hütten laufen davor,
Zerlumpte Kinder vor
Heerestruppen.
Hinter den steinernden Zinnen aber
beginnen
Die Felder, die Weiten,
Die sich endlos in die graue Ebene
breiten.
Hohläugig glotzen die Häuser
herüber,
Mit scheelem Blicke versengen sie
Strauch und Baum:
„Gebt Raum! Gebt Raum
Unserm Schritt!
Wir wälzen den plumpen steinernen
Leib darüber,
Die Dörfer, die Felder, die
Wälder, wir nehmen sie mit!
Mit unserem rauchenden Atem
verbrennen
Wir jede Blüte und reifende
Frucht.
Die Saaten, die nicht mehr grünen
können,
Ersticken in Qualm wir. Vor
unserer Wucht
Zersplittern die Bäume, in
rasender Schnelle
Sind alle Menschen im Land auf der
Flucht
Vor unserer steinernen Welle.
Wir aber erreichen sie doch. Uns
hält
Kein Strom, kein Graben. Wir
morden das Feld.
Und die Menschen, aus ihrer Qual
sich zu retten,
Aus einsamen Höfen, verlassenen
Auen,
Mit dem Wahnsinn gepaart, dem
Hunger, dem Schmerz,
Gebeugte Männer, verzweifelte
Frauen
Ziehen dahin in schwarzen Ketten,
Hinein in der Städte pochendes
Herz.
Ob lebend, ob tot, wir halten sie
fest
An unsere steinernden Brüste
gepreßt.
Bis unsere Stirnen die Sterne
berühren,
Blutender Felder zerrissenen
Grund,
Euch Ebenen, die in das Endlose
führen,
Alle verschlingt unserer Mauern
zermalmender Mund.
Bis wir zum Saume der Meere uns
strecken,
Nie sind wir müde, nie werden wir
satt,
Bis wir zum Haupte der Berge uns
recken
Und die weite, keimende Erde
bedecken:
Eine ewige, eine unendliche
Stadt!...“
(Armin T. Wegner, 1913)
Im grünen Himmel, der manchmal
knallt
Vor Frost im rostigen Westen,
Wo noch ein Baum mit den Ästen
Schreit in den Abend, stehen sie
plötzlich, frierend und kalt,
Wie Pilze gewachsen, und strecken
in ihren Gebresten
Ihre schwarzen und dünnen
Dachsparren himmelan,
Klappernd in ihrer Mauern
schäbigem Kleid
Wie ein armes Volk, das vor Kälte
schreit.
Und die Diebe schleichen über die
Treppen hinan,
Springen oben über die Böden mit
schlenkerndem Bein,
Und manchmal flackert heraus ihr
Laternenschein.
(Georg Heym, 1910)
In
kalten, steifen Engen,
An
gelben Schornsteinlängen,
Verirrten Schieferdächern,
Verstaubten Lukenfächern,
An
braunen glatten Röhren,
An
roten Drahtes Öhren,
Verblichnen blauen Flecken
Und
blechbehuften Ecken
Liegt Sonne, wie nach Winkelmaß
gemessen
Und wie von einem Handwerksmann
vergessen.
Hier hinter Luken wimmeln,
In
Kellerlöchern schimmeln
Und
tanzen unter Sparren
Wir
galgenfrohen Narren,
Die
sich in Kammern bücken,
Doch ihre Wände schmücken
Mit
goldnen Sterntapeten,
Weil wir vom Himmel wehten,
Wir Fetzen Licht, nach Winkelmaß
gemessen,
Und wie von einem Handwerksmann
vergessen.
(Oskar Loerke, 1911)
Der Stein in Gosse, Turm und Wand
schreit: Frage!
Ich gehe durch Berlin wie auf der
Flucht
Und stell es hinter mich wie ein
Klage,
Mit Schmerzen treibt mich aus die
Lebenssucht.
Was soll ich finden? - Mir ist
nichts geworden,
Die Sonne fällt schon wie ein
welkes Laub.
Gefährte, Menschen ziehn in grauen
Horden
Und sind so stumm, ich bin vor
Horchen taub.
Gekreuzigt an den Fensterkreuzen
schlagen
Vampyre meiner Wissensgier sich
matt.
Aus gläsern abendroten Feuern
ragen
Die vielen Kreuze dieser
Schädelstatt.
Nur wie ein Echo ruft aus roten
Fenstern
Das Erdlicht noch, das Licht
Saturns, das Licht
Neptuns, das bald auf andern
Weltgespenstern
In Schlachtordnungen aus dem
Himmel bricht.
Die Häuserblöcke stehn so grau wie
Asche,
Die Ferne ist wie
aschenstaubverstellt.
Die Schmutzkanäle murmeln die
Parasche
Im Bauch der Stadt zum Gott der
Unterwelt.
An der Kanäle feuchten Rosten
balgen
Sich Hunde um ein faules Stückchen
Fisch.
Die Bogenlampen streun von ihren
Galgen
Ihr armes Licht mit fiebrigem
Gezisch.
Da frierts die Steine und die
Steine scheinen.
Du blutest ja, mein Herz, du, komm
nach Haus.
Dort in der Höfe Steinzisternen
weinen
Die Brunnen der Melancholie sich
aus.
(Oskar Loerke, 1916)
Gewölk wie schwefelgelbe
Leichentücher
Mit einem Schein von Blut wirft
sich und flattert,
Doch läßts die Stadt, die es in
sich gewickelt,
Nicht los. Die Tücherzipfel
klatschen auf
Die Türme. Unten irgendwo im
Leeren
Steht kalter Wind und bläst ins
tote Bündel.
Und ganz Berlin ist schwefelgelb
getüncht
Mit einem Schein von Blut...
Ich träume wach in finstrem
Mauerkäfig,
Mir öffnet sich das
Hinterhaus...ich sehe:
Da liegt der Wabenbau aus
Ziegelstein,
Schwermütiger, je weiter er sich
reckt.
Und tausend Jahre älter scheint
die Stadt,
Denn, was in tausend Jahren wird,
ist heut.
Die Straßen sind im Leib der Stadt
wie Sprünge
Und Risse des Verfalls, wie
Säbelhiebe,
Die kreuz und quer der plumpe
Geist der Stadt
Dem eignen Körper schlug, der
Straßen Bäume
Sind Gras und Unkraut, in den
Spalten wuchernd.
Noch wehn wir durch die Waben wie
ein Schrei,
Der fensterein und wieder
fensteraus fährt,
Mit unsrem kleinen Leben. Zeugen,
Sterben
Gärt schal im Summen mit, das wie
ein Schwärmen
Von Leichenkäfern im Kadaver
braust.
Der Säle und der Kammern Waben
bröckeln,
Schon blättern von den Zellen die
Tapeten,
Die Teppiche zermürben auf den
Dielen,
Und aller fremden Lande Schätze
fahren
In dieser Tausendjahrminute aus,
So laut, so leis wie Töne eines
Tanzes,
Den sich der Geist der Stadt mit
großen Tatzen
Auf Dächern wie auf dunklenTasten
spielt.
Der Wind der Zeiten bläst als
Blasebalg.
Der Wind?
... es bläst. Es ist ein kleiner
Wind,
Er fährt in meine Hinterstube,
lischt
Die Schemen aus. Die Mauern
schließen sich.
Ach, ich bin heut die dumpfe
Lebensschwermut
Der vielen tausend Zellen dieses
Steinleibs.
Ich gleiche wohl dem
schwefelfahlen Licht
Mit einem Schein von Blut... ich
gleiche mehr
Dem Wolkentuch, das allzuschwere
Bürde
In seinen Nebel nimmt, doch nimmer
trägt.
(Oskar Loerke, 1911)
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