Gedichte: Dichter über Dichter

 

Meck, meck, meck (E. Blass)

A.R. Meyer- Abend (E. Blass)

Am Abend (J. v. Hoddis)

 

M. Beckmann: Die Ideologen, 1919 

Der Pudel mit der Löwenschnur (O. Loerke)

Wir Gespenster (F. Hardekopf)

Am Lietzensee (J. v. Hoddis)

 

  

 

 

 

 

Meck, meck, meck

1.

In dem Kreise Neustettin

Viel verborgne Schneider bliehn.

Nähend manche Lodenhose

Blühn wie Veilchen sie im Moose.

 

Unter ihnen laut man pries

Einen, welcher Wittstock hieß.

Dieser schrieb so manch Gedicht.

(Das Wort „Metrik“ kannt er nicht.)

 

...Oder wenn ein Knopf der Hose

Abgerissen oder lose...,

All dies machte Herr Wittstöck.

Denn dies war sein Lebenszweck.

 

2.

Bis ihn endlich an das Gängel-

Band nahm Redakteur F. Engel.

(Welcher, wenn er protegiert,

Nicht ganz unbedenklich wierd.)

 

Aus dem Neustettiner Vorort

Riß er ihn (und schrieb ein Vorwort).

Und so kam Herr Wittstock her,

Ohne Nadel, ohne Scher.

(Ernst Blass, 1911)

 

 

 

 

 

 

A.R. Meyer- Abend

1.

Lautensack am Meyer- Abend

Wirkte einfach, frisch und labend.

Gegen schlimme Pfarrhaussitten

Hat er klar und fest gestritten.

 

Daß sein Geist nicht aufgeweckt,

Ward ersetzt durch Dialekt.

In dem Pfarrhausstück (bei Meyer)

Wirkte frisch der Hinterbayer.

 

In der Vollkraft seines Seins

Trat er auf- und las sich eins.

Blieb der Beifall auch sehr schwach,

Lebhaft klatschte der Verlach.

 

2.

Dies war Lautensack. Hiernach

Richard Alfred Meyer sprach.

Die mäandrische Verkrümmung

Freier Verse wirkte Stimmung.

 

Seine „Semilasso“- Dichtung

Paßt nicht sehr in meine Richtung.

Eine klein Bohèmegeschicht

Folgte und gefiel mir nicht.

 

Denn Erotik, A.R. Meyer,

Ist nicht Dichtung, - A.R. Meyer!

Und bei dieser Dichtkunst Mängeln

Wuchs der Wunsch, sich rauszuschlängeln.

 

3.

Mich mäandrisch rauszuschlängeln

War mein Wunsch, bei allen Engeln.

Aber wer sich still bezwang,

Das war ich auf meiner Bank.

 

O, ich möchte von Paul Zech'en,

Den ich schätze, hier nicht sprechen.

Nur Frau Resi Langer sei

Schnell erwähnt noch, eins zwei drei:

 

Las mit vielem schönem Fleiße

Schur und Ruest und Herrmann (- Neisse)..

Einen ganzen Dichterreigen..

(Lichtenstein nicht zu verschweigen.)

(Ernst Blass, 1912)

 

 

 

 

 

 

Am Abend

Ach! die glitschig nasse Planke

War ihm mächtig unbequem.

Saß er doch auf einer Banke

Und bedachte ein Problem.

 

Dachte, dachte; es war wichtig,

Denn er gab sich das Gebot:

„Löse jene Frage richtig

Oder mach dich, bitte, tot.“

 

In der Bülowstraße war es.

Ja, es war ein Abenteuer,

Heldisch war und voll Gefahr es.

Ward er dümmer? Ward er schläuer?

 

Ja! Er saß auf einer Banke

Und er hatte ein Problem

Und die pitschenasse Planke

Ward ihm auch sehr unbequem.

(Jakob van Hoddis, 1911)

 

 

 

 

 

 

Der Pudel mit der Löwenschnur

Durch den Kanal im Tiergarten zieht

Eine ziegelbeladene Zille.

Ein Pudel zuhöchst. Die Fahrt geschieht,

Du fühlst es, als Pudelwille

 

Er hat krauses Haar und die Löwenschur

Und ein Hirn, die Welt zu erfassen,

Und eine Seele, die ganze Natur

Philosophisch geraten zu lassen.

 

Seine Nase sucht Urgrund vom Pfeifenkopf

Und Knaster in der Tüte

Zum scharlachnen Geranientopf

Am Fenster der Kajüte,

 

Zum wandernden Ufer am Kanal

Und der hüpfenden Rattenplage, -

Dann sucht er nicht mehr: am Wimpelschal

Weht die metaphysische Lage.

 

Er dreht sich und klopft mit der Quaste am Schweif

Leicht auf die warmen Planken.

Nun ist der Einklang des Lebens reif,

Die Sonne hat seine Gedanken.

 

Sie kennt ihren guten gnädigen Grund,

Er darf sie regieren schicken.

Fliegen zerstechen ihm Nüstern und Mund:

Er muß ein wenig nicken.

 

Wie die Nachtwelt steht ihm die Löwenschur

Am häßlich zergrübelten Haupte,

Doch zuckt sein Hängohr, wenn die Natur

Ihn eingeschlafen glaubte.

(Oskar Loerke, 1916)

 

 

 

 

 

 

Wir Gespenster

(Leichtes Extravagantenlied)

 

Wir haben all unsere Lüste vergessen,

In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen;

Erleuchtete Tore locken uns sehr,

Doch die Angst ist gering - wir brauchen viel mehr.

 

Als Knaben sind wir ins Theater gegangen,

Nach gelben Actricen ging unser Verlangen;

Nur Herr Kerr geht noch hin, gegen Wunder geimpft,

Der Bürger, der Nietzsche und Strindberg beschimpft.

 

Für Haeckel-Vergnügungen dankten wir bestens,

Da flohen wir zitternd ins Café des Westens

Zu heiligen Frauen. Es gibt auch Hyänen,

Die scharren nach goldenen Löwenmähnen.

 

Aus der Welt Dostojewskis sind wir hinterblieben:

Gespenster, die Lautrec und Verzweiflung lieben.

Wir haben nichts mehr, was einst wir besessen,

In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen.

(Ferdinand Hardekopf, 1914)

 

 

 

 

 

 

Am Lietzensee

Meinem Feund Georg Heym

Die rote Sandsteinbrücke packt

Staubig die andere Seite vom schwärzlichen Tümpel.

Laternen. Das verirrte Mondlicht zackt

Über Sträucher und Wellen und träges Gerümpel.

 

Doch zu uns tönt der Abendschrei der Stadt.

Ich spüre noch die Lust der vielen Straßen

Und Trommelwirbel um Fortunas Rad.

Doch du stehst vor mir schläfrig und verblasen.

 

Feindselig reichst Du mir die plumpe Hand,

Von neuem Zorn die starke Stirn betört.

Und als ich längst schon meinen Weg gerannt

Hat alle Schritte noch dein Traum gestört.

(Jakob van Hoddis, 1911)