1.
In dem Kreise Neustettin
Viel verborgne Schneider bliehn.
Nähend manche Lodenhose
Blühn wie Veilchen sie im Moose.
Unter ihnen laut man pries
Einen, welcher Wittstock hieß.
Dieser schrieb so manch Gedicht.
(Das Wort „Metrik“ kannt er
nicht.)
...Oder wenn ein Knopf der Hose
Abgerissen oder lose...,
All dies machte Herr Wittstöck.
Denn dies war sein Lebenszweck.
2.
Bis ihn endlich an das Gängel-
Band nahm Redakteur F. Engel.
(Welcher, wenn er protegiert,
Nicht ganz unbedenklich wierd.)
Aus dem Neustettiner Vorort
Riß er ihn (und schrieb ein
Vorwort).
Und so kam Herr Wittstock her,
Ohne Nadel, ohne Scher.
(Ernst Blass, 1911)
1.
Lautensack am Meyer- Abend
Wirkte einfach, frisch und labend.
Gegen schlimme Pfarrhaussitten
Hat er klar und fest gestritten.
Daß sein Geist nicht aufgeweckt,
Ward ersetzt durch Dialekt.
In dem Pfarrhausstück (bei Meyer)
Wirkte frisch der Hinterbayer.
In der Vollkraft seines Seins
Trat er auf- und las sich eins.
Blieb der Beifall auch sehr
schwach,
Lebhaft klatschte der Verlach.
2.
Dies war Lautensack. Hiernach
Richard Alfred Meyer sprach.
Die mäandrische Verkrümmung
Freier Verse wirkte Stimmung.
Seine „Semilasso“- Dichtung
Paßt nicht sehr in meine Richtung.
Eine klein Bohèmegeschicht
Folgte und gefiel mir nicht.
Denn Erotik, A.R. Meyer,
Ist nicht Dichtung, - A.R. Meyer!
Und bei dieser Dichtkunst Mängeln
Wuchs der Wunsch, sich
rauszuschlängeln.
3.
Mich mäandrisch rauszuschlängeln
War mein Wunsch, bei allen Engeln.
Aber wer sich still bezwang,
Das war ich auf meiner Bank.
O, ich möchte von Paul Zech'en,
Den ich schätze, hier nicht
sprechen.
Nur Frau Resi Langer sei
Schnell erwähnt noch, eins zwei
drei:
Las mit vielem schönem Fleiße
Schur und Ruest und Herrmann (-
Neisse)..
Einen ganzen Dichterreigen..
(Lichtenstein nicht zu
verschweigen.)
(Ernst Blass, 1912)
Ach! die glitschig nasse Planke
War ihm mächtig unbequem.
Saß er doch auf einer Banke
Und bedachte ein Problem.
Dachte, dachte; es war wichtig,
Denn er gab sich das Gebot:
„Löse jene Frage richtig
Oder mach dich, bitte, tot.“
In der Bülowstraße war es.
Ja, es war ein Abenteuer,
Heldisch war und voll Gefahr es.
Ward er dümmer? Ward er schläuer?
Ja! Er saß auf einer Banke
Und er hatte ein Problem
Und die pitschenasse Planke
Ward ihm auch sehr unbequem.
(Jakob van Hoddis, 1911)
Durch den Kanal im Tiergarten
zieht
Eine ziegelbeladene Zille.
Ein Pudel zuhöchst. Die Fahrt
geschieht,
Du fühlst es, als Pudelwille
Er hat krauses Haar und die
Löwenschur
Und ein Hirn, die Welt zu
erfassen,
Und eine Seele, die ganze Natur
Philosophisch geraten zu lassen.
Seine Nase sucht Urgrund vom
Pfeifenkopf
Und Knaster in der Tüte
Zum scharlachnen Geranientopf
Am Fenster der Kajüte,
Zum wandernden Ufer am Kanal
Und der hüpfenden Rattenplage, -
Dann sucht er nicht mehr: am
Wimpelschal
Weht die metaphysische Lage.
Er dreht sich und klopft mit der
Quaste am Schweif
Leicht auf die warmen Planken.
Nun ist der Einklang des Lebens
reif,
Die Sonne hat seine Gedanken.
Sie kennt ihren guten gnädigen
Grund,
Er darf sie regieren schicken.
Fliegen zerstechen ihm Nüstern und
Mund:
Er muß ein wenig nicken.
Wie die Nachtwelt steht ihm die
Löwenschur
Am häßlich zergrübelten Haupte,
Doch zuckt sein Hängohr, wenn die
Natur
Ihn eingeschlafen glaubte.
(Oskar Loerke, 1916)
(Leichtes Extravagantenlied)
Wir haben all unsere Lüste
vergessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu
fressen;
Erleuchtete Tore locken uns sehr,
Doch die Angst ist gering - wir
brauchen viel mehr.
Als Knaben sind wir ins Theater
gegangen,
Nach gelben Actricen ging unser
Verlangen;
Nur Herr Kerr geht noch hin, gegen
Wunder geimpft,
Der Bürger, der Nietzsche und
Strindberg beschimpft.
Für Haeckel-Vergnügungen dankten
wir bestens,
Da flohen wir zitternd ins Café
des Westens
Zu heiligen Frauen. Es gibt auch
Hyänen,
Die scharren nach goldenen
Löwenmähnen.
Aus der Welt Dostojewskis sind wir
hinterblieben:
Gespenster, die Lautrec und
Verzweiflung lieben.
Wir haben nichts mehr, was einst
wir besessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu
fressen.
(Ferdinand Hardekopf, 1914)
Meinem Feund Georg Heym
Die rote Sandsteinbrücke packt
Staubig die andere Seite vom
schwärzlichen Tümpel.
Laternen. Das verirrte Mondlicht
zackt
Über Sträucher und Wellen und
träges Gerümpel.
Doch zu uns tönt der Abendschrei
der Stadt.
Ich spüre noch die Lust der vielen
Straßen
Und Trommelwirbel um Fortunas Rad.
Doch du stehst vor mir schläfrig
und verblasen.
Feindselig reichst Du mir die
plumpe Hand,
Von neuem Zorn die starke Stirn
betört.
Und als ich längst schon meinen
Weg gerannt
Hat alle Schritte noch dein Traum
gestört.
(Jakob van Hoddis, 1911)
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