Gedichte: Aufruf 

 

Berlin (J. R. Becher)

An Berlin (J. R. Becher)

Der tote Liebknecht (R. Leonard)

Ode an Berlin (I. Goll)

 

Schlossbrücke 1914 

Mai-Nacht, 1911 (P. Zech)

Berlin! Berlin! (J. R. Becher)

Berlin 8 (G. Heym)

Der Tag von Berlin (A. Wolfenstein)

 

  

 

 

 

 

Berlin

Der Süden wird verbluten in der Sonne Stunden.

Der Taten Gott erzürnt aus Lavagrüften schlug.

Es kreiset um das Land der Berge Flammenrunde.

Da brachen auf wir schwarz, ein dünner Totenzug.

 

Der Süden ist bestimmt zu ewiger Trauer Schlafe.

Wir haben unserer Träume Barken ausgebrannt.

Wir winken mit den Fackeln nach dem stillen Hafen,

Die streichet aus der Finsternisse Mutterhand.

 

Des Südens Atem klebt an unseren krummen Rücken

Mit Winden lau und dumpfer Glocken Grabgedröhn.

Betrübet Euch! Des Abends rote Nebelmücken

Bestürmen euch mit Sang. Laßt uns vorübergehn!

 

Maultiere brechen hart von schartigem Messergrate.

Lawinen übertünchen uns mit Liebe weißem Fächer.

Wildbäche überblitzen hoch der Brücken Drahte.

Geysireplatzen aus der brüchigen Felsen Köcher.

 

Wir sanken morgens in der Spalten grüne Kammern.

Wir tauchten mittags ein in Gletschermühle Becken.

Es sauste nieder des Erdrutsches Keulenhammer.

Des Winters Sturm riß uns aus wohlichtem Verstecke.

 

In Höhlenlöchern warteten die zarten Wunder.

Mit Gerten schlugen wir uns Labung aus dem Stein.

Wir stürtzten ab mit nasser Büschel Fleckenschrunde.

Wir starben in den Kelchen der Enziane klein.

 

Wir tauten auf beim Hirtengruß und dem Geblöke

Der Herden. Aus der Blumen Grunde warmem Lauch

Sog uns zu Funkengärten schräger Purpurkegel.

Es trug uns Raub der neuen Heimat Wirbelhauch.

 

Aus Dächerfirnen strahlt der Meere Glanzgebreite,

Urwälder sind in Schlot und Balken hochgewachsen.

Der Rauche rußiger Hain beschattet die Gemäuer.

Der Krater Trichter schrumpften, schiefe Aschenzacken.

 

Der Wiesen Fluren tanzen um als Wimmelplätze.

In langer Straßen Schluchten weinen Abendröten.

Ein Quellenstrudelschwarm zum Himmel hetzet

Bei Kellertunnelnot und Krach der Speicherböden...

 

Berlin! Du weißer Großstadt Spinnenungeheuer!

Orchester der Äonen! Feld der eisernen Schlacht!

Dein schillernder Schlangenleib ward rasselnd aufgescheuert,

Von der Geschwüre Schutt und Moder überdacht!

 

Berlin! Du bäumst empor dich mit der Kuppeln Faust,

Um die der Wetter Schwärme schmutzige Klumpen ballen!

Europas mattes Herze träuft in deinen Krallen!

Berlin! In dessen Brust die Brut der Fieber haust!

 

Berlin! Wie Donner rattert furchtbar dein Geröchel!

Die heiße Luft sich auf die schwachen Lungen drückt.

Der Menschen Schlamm umwoget deine wurmichten Knöchel.

Mit blauer Narbe Kranze ist dein Haupt geschmückt!

 

Wir wohnen mit dem Monde in verlassener Klause,

Der wandelt nieder auf der Fürste schmalem Joche.

Der Tage graue Gischt zu sternenen Küsten brauset.

Auf Winkeltreppe ward ein Mädchen wüst zerstochen.

 

Wir lungern um die Staatsgebäude voll Gepränge.

Wir halten Bomben für der Wagen Fahrt bereit.

Die blonde Muse längs sich dem Kanale schlängelt,

Quecksilberlicht aus Läden lila sie beschneit.

 

Auf Pflaster Nebeldämpfe feuchte Wickel pressen.

Auf trägem Damme erste Stadtbahnzüge schnaufen.

Die alten Huren mit den ausgefransten Fressen,

Sie schleichen in den bleichen Morgen, den zerrauften...

 

O Stadt der Schmerzen in Verzweiflung düsterer Zeit!

Wann grünen auf die toten Bäume mit Geklinge?

Wann steigt ihr Hügel an in weißer Schleier Kleid?

Eisflächen, wann entfaltet ihr der Silber Schwinge?

 

Auf prasselnder Scheiter Haufen brennet der Prophet.

Der Kirchen Türme ragen hager auf wie Galgen.

Die Haare Flachs. Sein Leib auf Messingfüßen steht,

Im Ofen heiß wie glühender Erzkoloß zerwalket.

 

Und seine Stimme schwillt wie Wasserrauschen groß,

Da löschet aus des Brandes Qual auf heiliges Zeichen.

Ein fahles Schiff, das löset sich vom Ufer los,

Sich das Gerüst hebt und in die Nacht entweichet.-

 

Einst kommen wird der Tag!... Es rufet ihn der Dichter,

Daß er aus Ursprungs Schächten schneller her euch reise!

Des Feuers Geist ward der Geschlechter Totenrichter.

Es zerren ihn herauf der Bettler Orgeln heiser.

 

Einst kommen wird der Tag!... Die himmlischen Legionen,

Sie wimmeln aus der Wolken Ritze mit Geschmetter.

Es schlagen zu mit Knall der Häuser Särgebretter.

Zerschmeißen euch. Es hallelujen Explosionen.

 

Einst kommen wird der Tag!... Da mit des Zorns Geschrei

Der Gott wie einst empört die milbige Kruste sprengt.

Im Scherbenhorizonte treibt ein fetter Hai,

Dem blutiger Leichen Fraß aus zackichtem Maule hängt.

(Johannes R. Becher, 1914)

 

 

 

 

 

 

An Berlin

Berlin-: mit Schulter=Bergen hab ich dich durchdröhnt!

Zerstampfet deiner Häuser zementenen Apparat.

...verhängt wir rings mit Tau=Schleim ewiger Straßen...

Von Kreisel=Plätzen lodernd übertätowiert.

 

Berlin! Berlin! Voll Donner=Tag du Stadt, doch nimmer

aufreißt du

Solch blankes Firmament der Brust; denn Schwalben

sprühen.

Gewitter streichen Winde eines Atems.

O Berg eilt uns als Dämon Helfer zu.

 

Berlin, Paradies=Strom frißt dich labyrinthische Feste.

Kanäle fallend mir anheim. O Höfe zwitschernd!

Ja Palmwälder sprießen Schlote der Fabriken.

O Schatten=Traum der rings beglänzten Ärmsten!

 

Berlin Scharlachkürbis zerbeulte Frucht ins Netz der

Himmel schlagend.

Wo Mensch=Ameise schwirrt im jähesten Fabelreich

elastischer Korridore.

Wann wirst Du Volk empor aus jener Wildnis tagen!?

(... du Tat aus Geist geboren...)

 

Du Volk-: Gewalt, aus der dein Dichter brennt.

Du Volk versklavt in Gründe Mords gerissen.

Du Volk entführt im Mörser Brei zerschmissen.

... behelmt der Stirnen Schauer=Firmament...

 

Hah: morschen Bruders Leib dein Feld, dein Kissen!

Ja, euere Frauen Jenes Skalp sich hissen!!

(Barbar vom Bomben=Werk zerbissen.)

 

Du Volk! Mein Volk-: daß sich dein Blut verschwend:

Die Henkerfalten deines Antlitz glätten.

Dann sei, daß strahlend sich aus Schädelstätten

! Ihr Muskeln stemmt!

Dein Himmel hebt. Sternmulden schimmernd früheste

Narben.

Fischgründe lodern. Klirrt o Strahlen=Garben!!!

(Johannes R. Becher, 1918)

 

 

 

 

 

 

Der tote Liebknecht

Seine Leiche liegt in der ganzen Stadt,

in allen Höfen, in allen Straßen.

Alle Zimmer

sind vom Ausfließen seines Blutes matt.

 

Da beginnen Fabriksirenen

unendlich lange

dröhnend aufzugähnen,

hohl über die ganze Stadt zu gellen.

 

Und mit einem Schimmer

auf hellen

starren Zähnen

beginnt seine Leiche

zu lächeln.

(Rudolf Leonard, 1914/18)

 

 

 

 

 

 

Ode an Berlin

Dein Herz von Asphalt

 

Proleten werfen es in die Scheiben des Jahrhunderts

Und dein elektrisches Auge brennt über hängenden Gärten

gelbe Untergrundbahn

Flieht zu lieblichen Quellen des Abends

 

Berlin du Bar des Planeten

Wie ich Urzeit spüre!

Unterwelten entsteigt der Autobus

Hirne braun gebacken bei Kempinsky

 

Fett befingerter Prophet

Über preußischblauen Postbeamten

Bruder: ach es schwankt die Himmelsachse

Klappt dir den Zylinder zu

 

Doch im Kino krönt man Könige noch

Kant und Einstein lächeln populär

Die Kultur! Kultur! Kultur!

Zu den Negern drahtet eure Lüge

 

Kleine Mädchen haben ein Papierherz

Schattig Paradies der Promenadenbänke

Deine Frühlinge aus Tüll und Lindenblüten

Liebt der Bordellherr

 

Marmorn muß das Kolossale strotzen!

Türme gibt es nicht noch Götter:

Aber das Quadrat der Bank, Zuchthaus von Moabit:

Und ägyptisch

Wirkt die Statue des Schutzmanns

Bei den Stollwerckautomaten

 

Da entquillt dem Schnaps-Sumpf mein Prolet!

Freiheit! kaut das müde Maul des Hungers

Freiheit! zirpt die ferne Artillerie

Freiheit! in Kolonnen des Sturmschritts

 

Hymnen schreibt der rote Redakteur!

Und die Orgeln brausen: O Susanne!

Heilige Rosen blühen im Landwehrkanal

Letzte Rose von Deutschland!

 

Alles Gold zerrann zu Freibier

Lockernd den Asphalt des Mob -

O Berlin, du Nessel am Kreuzweg des Ostens

Dorre an deinem Staube bröckle Vergessenheit

(Iwan Goll, 1918)

 

 

 

 

 

 

Mai-Nacht (1911)

Noch klappen Paternoster. Fensterfronten schreiten

weiß wie Flamingos in den Lampenozean.

Versandet aber liegen Ufer, Kran bei Kran,

aus den Kanälen wachsen Mauern von drei Seiten.

 

Die braunen Hügel Armut vor dem Wald der Schlote

vergaßen, daß hier aufbrach ein Vesuv...

Die Stuben schallen voller Ruf,

vor Schenken hängt der Mond, die rote Zote.

 

Und plötzlich hat der Straßen glattes Einerlei

das riesig strotzene Gesicht

apokalyptisch überglänzt von Schrift:

 

„Gebt Raum auf Halden, Werften, Glacis,

gebt Raum auf Rasen, Blumenbeet und Kies

dem Mai, der unsere Kehlen heimsucht als ein Schrei!“

(Paul Zech, 1913)

 

 

 

 

 

 

Berlin! Berlin!

Zementene Rose, rings von kalten Flecken

Laternenkuppeln magisch überbaut:

Um Röhrenhals ein Zirkusamulett die Hecken.

Azure jähe stürzen aus asphaltenen Becken.

Du goldenen Südens langerweinte Braut!

Zerhackter Kindheit Traum. Katholische Legende.

Am Abgrundweg du freie Morgenwende.

 

Wir strömen ein. Da kreisen schmetternd uns Portale.

Fanfaren Stoß rinnt lang die Straße grad.

Es träuft von Wimpern Tau der Dörfertale.

Verwoben schon im mystischen Apparat.

Steig um aus Nacht! Eröffne dein ländliches Kleid!

Schleudere den Arm, den Pflug - Signal! - ins Endlose weit!!

 

Die Huren wallen rhythmisch aus Tapeten

Von Horizonten veilchenveilchenblau.

Die jungen Dichter von Tribühnen reden.

Du Kanzler starbst im nächtlichen Gehau.

Jahrhundertwind fegt breit in vollstem Zug.

Es fällt der Mensch, den deine Strophe schlug!!

 

Berlin! Berlin!! Es streifen Tausendbahnen

Melodisch surrend über dein Gezelt.

Drüber, drüber aber braust die Sternenwelt...

Türme spitz aus wogendem Ozeane.

 

Wir strömen ein. Von springenden Balkonen

Saltomortaleclou auf heißen Platz.

Aus Leibs karrierter Haut erblühen neue Zonen,

Darauf wie Knospe Schnee die Sonne platzt.

(Johannes R. Becher, 1916)

 

 

 

 

 

 

Berlin 8

Schornsteine stehen in großem Zwischenraum

Im Wintertag und tragen seine Last,

Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast.

Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.

 

Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,

Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,

Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt

Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.

 

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,

Die Toten schaun den roten Untergang

Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.

 

Sie sitzen strickend an der Wand entlang,

Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,

Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.

(Georg Heym, 1910)

 

 

 

 

 

 

Der Tag von Berlin

Es brennt! Mein Kissen glüht! Die Silberwand

Des Schlafes schmilzt, der Straße Morgenland

Wölbt hallend sich mit hartem Schwung ins Fenster

Ein Heer von Händen greift nach meiner Hand!

 

Berlin ersteht. Ein Riese hebt mich, schäumend:

Revolution! aus den verbrauchten Träumen

Herauf an seinen starken Arbeitsmund,

Mit Reihen Zähnen, Straßen, Häusern, Bäumen.

 

Rund umgewälzte Erde! zur Gewalt

Gelangtes Licht! Neu, Sieger über Alt!

Sturm auf Büro, Geschäft, Fabrik, der trommelnd

Von tausend Tritten mir entgegenprallt!

 

Des Morgens große rote Neuerungen,

Erschlagt mich nicht, jetzt sterben nicht die Jungen!

Mein Arm, nun stoße wie ein Kolben vor,

Mein Auge weite dich, sonst sei verschlungen!

 

Des Willens Stadt, Berlin, der Arbeit Raum -

Wer kann zurück in der Gefühle Flaum?

Wer ruht? Hinein ins ernste Volk der Arbeit!

Du straffer Tag bist unser neuer Traum.

(Alfred Wolfenstein, 1916)