...rast weiter über menschenlosen
Platz,
Gelb, keuchend, zwischen Träumen und
Erwachen,
Rings Nebel, die Gebüsche blinder
machen,
Das Auto dreht... in einem Satz.
Ich liege nur, mein Herz ward
ausgerenkt,
Bin ich hier nicht am Brandenburger
Tor?
Rechts steigt der Himmel dunstig
schief empor,
Wo klein der Mond, ein weißer
Tropfen, hängt.
(Ernst Blass, 1911)
Der hohe Straßenrand, auf dem wir
lagen,
War weiß von Staub. Wir sahen in
der Enge
Unzählig: Menschenströme und
Gedränge,
Und sahn die Weltstadt fern im
Abend ragen.
Die vollen Kremser fuhren durch die
Menge,
Papierne Fähnchen waren
drangeschlagen.
Die Omnibusse, voll Verdeck und
Wagen.
Automobile, Rauch und Hupenklänge.
Dem Riesensteinmeer zu. Doch
westlich sahn
Wir an der langen Straße Baum an
Baum,
Der blätterlosen Kronen Filigran.
Der Sonnenball hing groß am
Himmelssaum.
Und rote Strahlen schoß des Abends
Bahn.
Auf allen Köpfen lag des Lichtes
Traum.
(Georg Heym, 1910)
Glashaft und stier werde ich
fortgetragen
Von Schritten, die im Takt nach
vorne fliehn.
Und immer wieder steinern dampft
Berlin,
Wo Wagen klingelnd durch den Abend
jagen.
Schaufensterhelle. Menschen schwarz
wie Rauch
In gelbem Schein, von dem die
Straße trieft.
Und alles zieht sich hin, ein
fester Brauch.
Verleger kommen, schmatzend und
vertieft,
Und Mädchen tun, als sein sie ewig
hier,
Und immer läutet fort die
Straßenbahn...
Was will denn diese ganze Qual von
mir?
Ich habe keinem Menschen was getan.
Von Bogenlämpchen bläulich- weißer
Schimmer.
Dünnkaltes Fieber. Wildnis, die
gefriert.
In einem Riesenhalbkreis sitzend
immer
Sind Lesbierinnen, groß und
marmoriert.
(Ernst Blass, 1912)
Der Potsdamer Platz in ewigem
Gebrüll
Vergletschert alle hallenden
Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf
Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den
Asphalt,
Ameisenemsig wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken
blink,
Schwimmen wie Sonnenlicht durch
dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine
Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln
schlagen
Und lila Quallen liegen - - bunte
Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von
den Wagen.- -
Auf spritzt Berlin, des Tages
glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer
Pest.
(Paul Boldt, 1912)
Ich geh' eine ganz vergoldete
Straße entlang,
Der Himmel zerfließt im
Sonnenuntergang.
Da kommen Frauen, märchenschön,
und bleiben vor glitzernden Läden
stehn.
In Blüten schwimmt der Potsdamer
Platz,
er träumt vom Mond, dem
Götterschatz.
(René Schickele, 1910)
Die Stimmen der Autos wie
Jägersignale
Die Täler der Straßen bewaldend
ziehn.
Schüsse von Licht .Mit einem Male
Brennen die Himmel auf Berlin.
Die Spree, ein Antlitz wie der Tag,
Das glänzend meerwärts späht nach
Rettern,
Behält der wilden Stadt Geschmack,
Auf der die Züge krächzend
klettern.
Die blaue Nacht fließt in den
Forst.
Sie fühlt, geblendet, daß du lebst.
Schnellzüge steigen aus dem Horst!
Der weiße Abend, den du webst,
Fühlt, blüht, verblättert in das
All.
Ein Menschenhände-Fangen treibst du
Um den verklungnen Erdenball
Wie hartes Licht; und also bleibst
du.
Wer weiß, in welche Welten dein
Erstarktes Sternenauge schien,
Stahlmasterblühte Stadt aus Stein,
Der Erde weiße Blume, Berlin.
(Paul Boldt, 1914)
Auf faulen Straßen lagern
Häuserrudel,
Um deren Buckel graue Sonne hellt.
Ein parfümierter, halbverrückter
kleiner Pudel
Wirft wüste Augen in die große
Welt.
In einem Fenster fängt ein Junge
Fliegen.
Ein arg beschmiertes Baby ärgert
sich.
Am Himmel fährt ein Zug, wo wind'ge
Wiesen liegen;
Malt langsam einen langen dicken
Strich.
Wie Schreibmaschinen klappen
Droschkenhufe.
Und lärmend kommt ein staub'ger
Turnverein.
Aus Kutscherkneipen stürzen sich
brutale Rufe.
Doch feine Glocken dringen auf sie
ein.
In Rummelplätzen, wo Athleten
ringen,
Wird alles dunkler schon und
ungenau.
Ein Leierkasten heult und
Küchenmädchen singen.
Ein Mann zertrümmert eine morsche
Frau.
(Alfred Lichtenstein, 1912)
Mit seine Kuppeln, Toren und
eisernen Bogen,
Die Pfeiler zu granitenen Fichten
gereiht,
Mit seinen aufgerissenen Augen, die
breit
Die Straße mit Licht überschütten,
dem gewundenen Lauf
Seiner Treppen, funkelnd von Gold
und Glanz überflogen:
Hebt sich das Haus bis weit in den
Himmel hinauf.
Die niederen Dächer an seine Seiten
geduckt,
Schwindsüchtige Wände, auf die es
die plumpe Schulter zuckt,
Zwischen berstende Mauern, über die
kalt
Sein Schatten und seine Flamme
fällt,
Hat es den Fuß mit Donner- Gewalt
In der Straßen keuchende Lunge
gestellt.
Doch unter dem Glanze der
steinernen Bäume,
Die sich rauschend bis unter die
Dächer verzweigen,
Verstrickt in das Dickicht der
endlosen Räume,
Wachsend die Ströme der Menschen
steigen.
Durch kreisende Schleusen gezogen
Schluckt seinen Atem das gewaltige
Haus,
Menschen auf Menschen- Wogen,
Und speit sie zurück, auf die
Straße hinaus.
In den gläsernen Schächten die
fliegenden Stühle
Heben sich jäh empor aus dem
schwarzen Gewühle.
Steigen und gleiten an zitternder
Schnur,
Schwankend im Lichte
Wie die goldnen Gewichte
An einer rastlos laufenden Uhr.
Und über der Diele, die breit und
gebogen
Sich dunkel ebnet in Schluchten,
von Pfeillern zerrissen,
Zwischen Wänden, die ihre eigene
Ferne nicht wissen,
Von kalten Sonnen lieblos belogen -
Erhebt sich strahlend der Wald der
Dinge.
Die Dinge, die lichtheller Morgen
umtagt,
Die nackt sich brüsten, schillernd
und seiden,
Die die Wünsche der Menschen
betasten, entkleiden,
Von dem lüsternen Schwarm ihrer
Blicke benagt.
Die Dinge, die wie Lebendige
glühen,
Wandelnd und in einer Sänfte von
Glas,
Die dunkel und ohne Maß
Sich in endloser Straße ziehen.
Durch die die Menschen
vorrübertreiben, ein Wind.
Gewänder, die wie Erhängte sind,
Kopflose Kleider, die Gebete
stammeln,
Die Tische von Ungebornen beklebt,
Und Stühle, die sich zu Völkern
versammeln,
Und die Betten weiß und von Seide
gewebt,
In denen tausend begehrliche
Wünsche schlafen,
Doch kein Lebendiger lebt.
Von den ewigen Fernen der Erde
trafen
Die Dinge in dieses Haus dunkel
zerwühltem Hafen
Wie Schiffe auf weiter Reise
zusammen.
Die über die Flüsse Ägyptens
schwammen,
Persische Teppiche, japanische
Seide,
Irische Pelze, peruaner Geschmeide,
Die über die weglosen Meere kamen,
Der fremden Lande dunkles Gerät:
Sie alle sind, ein unfruchtbarer
Samen,
Über die schwellende Diele des
Hauses gesät.
Die Dinge zu Städten gebaut und
Gassen,
Um deren Besitz sie morden und
stehlen,
Um deren Glück sie einander hassen,
Millionen in Arbeit, in Wahnsinn
sich quälen.
Die Dinge, in Glanz und in Leuchten
geschlagen,
Die jung sind und zart zu fühlen.
Bald,
In die tausend Stuben der Stadt
getragen,
Werden sie alt:
Wenn sie im Dunkel und Elend des
Alltags verblühen -
Die Dinge ,
Vor denen die Seelen der Menschen
knieen!
Und stumm in dem verwunschenen Wald
Bewegt sich lautlos die Schar der
Priesterinnen,
Die lächelnd den Götzen der Dinge
bedienen,
Der sich im Finstern zeugend
vermehrt.
Mit hungernden Brüsten und Liebe
beschwert
Bewahren sie opfernd die Schätze im
Haus,
Wenn durch der Hände gebleichtes
Linnen
Ohne Ende die Wasser der Dinge
rinnen,
Und bieten zum Kauf ihre Seele
aus...
In den gläsernen Schächten die
fliegenden Stühle
Heben sich jäh empor aus dem
schwarzen Gewühle,
Steigen und gleiten an zitternder
Schnur,
Schwankend im Lichte
Wie die goldnen Gewichte
An einer rastlos laufenden Uhr.
Bis das Licht erlischt und die
Schatten schwer
Und dumpf in die hohlen Säle
fallen;
Da heben im Dunkel die Dinge,
entgeistert und leer,
Ihre toten Äste, in die mit
gefalteter Schwinge
Die Schatten sich krallen.
Und mit den Augen, die stets voll
kaltem Verlangen
Nach den eilenden Menschen der
Straße fangen,
Die sich in jähem Entsetzen
verdunkeln,
Und noch im Schlaf ohne Ruh
Starr in das nächtliche Leben der
Städte funkeln,
Schließt sich das Haus wie das Herz
einer Dirne zu.
(Armin T. Wegner, 1909)
Spukhaftes Wandeln ohne Existenz!
Der Asphalt dunkelt und das Gas
schmeißt sein
Licht auf ihn. Aus Asphalt und
Licht wird Elfenbein.
Die Straßen horchen so. Riechen
nach Lenz.
Autos, eine Herde von Blitzen,
schrein
Und suchen einander in den Straßen.
Lichter wie Fahnen, helle
Menschenmassen:
Die Stadtbahnzüge ziehen ein.
Und sehr weit blitzt Berlin. Schon
hat der Ost,
Der weiße Wind, in den Zähnen den
Frost,
Sein funkelnd Maul über die Straße
gedreht,
Darauf die Nacht, ein stummer
Vogel, steht.
(Paul Boldt, 1914)
Der Himmel fließt in steinernen
Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht
ausgehauen
Sind alle Straßen, voll vom
Himmelblauen.
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote
Pfählen
Im Wasser. Schwarze Essendämpfe
schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen
anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde
stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu
erzählen,
Gemengt, entwirrt nach blauen
Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und
Tand
Regt sie des Wassers Wille und
Verstand
Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten,
Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter
Sand
Im linden Spiel der großen
Wellenhand.
(Oskar Loerke, 1911)
An der Ecke steht ein Mann
mit verklärtem Gesicht.
Du stößt ihn an,
er merkt es nicht.
Starrt empor mit blassem Blick,
schlaff die Arme herunter.
Tiefer gestaltet sich sein Geschick
und der Himmel bunter.
(René Schickele, 1910)
Beteerte Fässer rollten von den
Schwellen
Der dunklen Speicher auf die hohen
Kähne,
Die Schlepper zogen an. Des Rauches
Mähne
Hing rußig nieder auf die öligen
Wellen.
Zwei Dampfer kamen mit
Musikkapellen.
Den Schornstein kippten sie am
Brückenbogen.
Rauch, Ruß, Gestank lag auf den
schmutzigen Wogen
Der Gerbereien mit den braunen
Fellen.
In allen Brücken, drunter uns die
Zille
Hindurchgebracht, ertönten die
Signale
Gleich wie in Trommeln wachsend in
der Stille.
Wir ließen los und trieben im
Kanale
An Gärten langsam hin. In dem
Idylle
Sahn wir der Riesenschlote
Nachtfanale.
(Georg Heym, 1910)
Diese Gattung ist schon lange tot.
Was du öfter an den Ecken halten
siehst,
sind nur Schatten um ein Häuflein
Kot
und ein Hut, der manchmal Zeitung
liest.
Abends aber glüht Verwesung
phosphorweiß
aus den Schädeln, beinern, ohne
Haar.
Und die Beine hüpfen so im Kreis
mit den Wölfen durch die Steppe
Gasduschar.
Hörst du, wie es aus den Nüstern
grollt
und die nackten Schenkel an die
Flanken haun?
Morgenhimmel glühen rot und gold
und das Meer trieft von den Fellen
bernsteinbraun.
Wenn du nicht romantisch bist und
Kind,
wirst du abgestoßen von dem
Nachtgeschehn,
siehst nur Pferde, wie sie erdhaft
sind
und verdrossen vor den Droschken
gehn.
(Paul Zech, 1921)
Warum ist kein Luftschiff über uns
gezogen,
als wir mit hoffnungsvoller Kurve
in die Wunder
der großen Flamme flogen?
Denn in unsern letzten
Kleinstadtträumen von dir, Berlin,
war Propellergeprassel, Winken aus
Wolken, Brunst
von Benzin!
War Unerhöhrtes, das uns mit
irgendeiner Raserei überfiel,
waren Seiltänzer auf
Trambahndrähten, war ein Automobil,
das mit uns wie ein feuriger Engel
über glühende
Glätte stürmte,
durch lauter Reifen von Wind, der
Leuchten auf
Leuchten türmte!
Aber dann hockten wir plötzlich
hinter einem
verpfuschten Pferde,
von weißen Lampen lief nackt eine
frierende Herde
gerupfter Strauße, die vor unserem
Kommen wie
vor einem Unglück floh -
und nur ein Blick von dir,
beflügelt, tanzend, machte
mich auf Kampf und Mühsal
froh.
(Max Herrmann-Neisse, 1914)
Wie schwer wird deinem Arm das
Glück Italiens
Und die Last der Gärten!
Viel Taunächte und Rosenabende,
Gitarren, Hundegebell,
Windschmeichelei,
Wie schwer das ganze Glück des
Frühlings!
Aber laß dich vom Gebrüll
umtaumeln,
Pferde zerwiehern dein Gebet,
Autobusse flattern
Über dich hin. - -
Höher halte die Anemonenflamme!
Höher deine Asphodelen!
(Zwei Knaben stehlen
Dir ein Krokusbund)
Höher wie eine Heilige
Hebe die Blumen in die graue Stadt.
(Iwan Goll, 1919)
Der Regen rauscht in einer weißen
Wand.
Die Wolken fliehn, als ob sie Sturm
zerbliese.
Das Regenwasser läuft am
Straßenrand
Und auf dem Asphalt hin in heller
Brise.
Die Straßenbäume schwanken an den
glatten
Pfählen, und zeigen weiß den
Blättergrund.
Wie eine schwarze Schar von großen
Ratten,
So stehn die Schirme vor des
Bahnhofs Mund.
(Georg Heym, 1910)
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