Gedichte: Abschied

 

Abschied von Berlin (R. Schickele)

Der Ausflug (A. Lichtenstein)

 

E. L. Kirchner: Rote Kokotte, 1914/25

Gesänge an Berlin (A. Lichtenstein)

  

 

 

 

 

Abschied von Berlin

Hurra! Der Strudel hat mich ausgespieen.

Fiebernd blicke ich und stammle Fluchgesänge.

Der D-Zug fährt noch zwischen Häusern hin.

Und ich bete, daß die Befreiung mir gelänge

aus dem Wüsten, Wilden, wie es Gott gefällt,

über dem nassen Tiergarten seh ich die Wolken ziehn,

„Zoologischer Garten“. Dies war meine Welt.

Aber in Geierfängen entflieh ich dir, Berlin!

 

Nein, ich bliebe nicht, selbst wenn sie mich umschlänge

und aus ihrem wunderschönen Mund sich ränge

herzerschütternd Liebesglut und Angstgebet.

Prinzeß, adieu! Jetzt trinkt ihr wohl Kaffee,

im Garten, vor dem besonnten, roten Tulpenbeet,

das Eurer schwarzen Schönheit ebensogut steht,

wie etwa das Feuer im Kamin Eures dunkeln Zimmers.

 

Wie liebe ich die zuckende Wildheit seines Schimmers

auf Euerm braunen Leib, worin das Auge dunkelnd

die Nacht der Nächte offen hält,

in Widerschein von tanzenden, roten Lichtern funkelnd,

und heiß, als schmölz darin die Welt.

Ihr Abendschönheit, rote Lilie, glühender Schnee

und Buchengold um den entflammten Höhensee.

O spiegelt Euer schmal Gesicht im braunen Kaffee!

 

Prinzeß, wenn im Herbst die Abende erkalten,

will ich es wieder in den Händen halten.

Ihr biegt Euch wieder in meinen Armen und lacht

ein Lachen, das uns von den Menschen scheidet.

Doch bitte, bitte, nehmt Euch dann in acht

und seht, daß Ihr nicht an Migräne leidet.

(René Schickele, 1910)

 

 

 

 

 

 

Der Ausflug

(Kurt Lubasch gewidmet zum 15.7. 1912)

 

Du, ich halte diese festen

Stuben und die dürren Straßen

Und die rote Häusersonne,

Die verruchte Unlust aller

Längst schon abgeblickten Bücher

Nicht mehr aus.

 

Komm, wir müssen von der Stadt

Weit hinweg.

Wollen uns in eine sanfte

Wiese legen.

Werden drohend und so hilflos

Gegen den unsinnig großen

Tödlich blauen, blanken Himmel

Die entfleischten, dumpfen Augen,

Die verwunschnen,

Und verheulte Hände heben.

(Alfred Lichtenstein, 1912)

 

 

 

 

 

 

Gesänge an Berlin

1.

O du Berlin, du bunter Stein, du Biest.

Du wirfst mich mit Laternen wie mit Kletten.

Ach, wenn man nachts durch deine Lichter fließt

Den Weibern nach, den seidenen, den fetten.

 

So taumelnd wird man von den Augenspielen.

Den Himmel süßt der kleine Mondbonbon.

Wenn schon die Tage auf die Türme fielen

Glüht noch der Kopf, ein roter Lampion.

 

2.

Bald muß ich dich verlassen, mein Berlin.

Muß wieder in die öden Städte ziehn.

Bald werde ich auf fernen Hügeln sitzen,

In dicke Wälder deinen Namen ritzen.

 

Leb wohl, Berlin mit deinen frechen Feuern,

Lebt wohl, ihr Straßen voll von Abenteuern.

Wer hat wie ich von euerm Schmerz gewußt,

Kaschemmen ihr, ich drück euch an die Brust.

 

3.

In Wiesen und in frommen Winden mögen

Friedliche heitere Menschen selig gleiten;

Wir aber morsch und längst vergiftet, lögen

Uns selbst was vor beim in die Himmel Schreiten.

 

In fremden Städten treib ich ohne Ruder,

Hohl sind die fremden Tage und wie Kreide.

Du mein Berlin, Du Opiumrausch, Du Luder.

Nur wer die Sehnsuch kennt, weiß, was ich leide.

(Alfred Lichtenstein, 1914)